7.9. - 12.10.2013
Eröffnung / opening reception: 7. September, 19 h
galerie weisser elefant
Auguststraße 21
10117 Berlin
Di - Sa 13 - 19
PAREIDOLIA
‒ Astrid Köppe
Astrid
Köppes Handzeichnungen auf Papier sind Musterbeispiele für das
Dilemma zwischen Wissen und Sehen, hervorgerufen durch den
intrinsischen Eifer, ungewohnte Sinneseindrücke in vertraute
Wahrnehmungsmuster einzugliedern. Mal zoomorph, mal mineralisch, mal
pflanzlich oder bakteriell, oft in einem eigenartigen Zustand der
Transformation begriffen, seltsam anmutig, anziehend und doch schwer
zu fassen, so präsentieren sich die Bewohner des Köppeschen Kosmos,
deren rätselhaftes Naturell uns zu einer fast zwanghaften Suche nach
dem Konsens mit unseren bereits gemachten Erfahrungen anhält. Mit
entdeckerischer Neugier beginnen wir die Zeichnung zu erforschen,
reflektierend mit dem Auge abzutasten und unentwegt auf
Gemeinsamkeiten mit außerbildlichen Bezugsobjekten hin zu
untersuchen. Getrieben vom Verlangen nach dem Zugang zu diesem
scheinbar esoterischen Wissen, das die Schöpferin uns vor Augen
führt und doch vorenthält, suchen wir nach dem Schlüssel zu diesem
geheimen Ort, „Pareidolia“, dem diese absonderliche Gestalten
entsprungen sein müssen. Die Quelle des pareidolischen Sehens als
psychologischem Phänomen liegt in der Neigung, in unbekannten Dingen
Vertrautes erkennen zu wollen. Doch dort, wo keine Systematik zu
finden ist, muss auch die Nomenklatur eigene Wege gehen, und es
können bisweilen so drollig hilflose Wortschöpfungen, wie
„Haarige-Micky-Maus-mit-Blähbauch“ oder
„Sich-zersetzende-Bohnenamöbe“ entstehen, die weniger als
Erklärungen des Gesehenen dienen, denn als ureigene
Bändigungsformeln, die die morphogenetischen Bilderstürme eine Zeit
lang zu bezähmen vermögen und an deren vorläufigen Ende doch nur
die Erkenntnis stehen kann, dass diese kurzzeitigen linguistischen
Linderungsversuche mehr über uns selbst aussagen als über das
Gegenüber, über das wir so viel zu erfahren erhofften.
Während
bei den Zeichnungen die kleinen Quälgeister besänftigt hinter Glas
zu schlummern scheinen, weitet die Künstlerin für ihre neue Serie
little ghosts den Rahmen auf den Galerieraum aus. Durch die
nahezu situative Anlage des verdunkelten Kabinetts mit den
insektenartig-barock gestalteten ovalen Objekten mit eigener
Beleuchtung und den stofflich-farblosen Vaseline-Zeichnungen, die
erst in den Schattenrissen auf dem Papier ihre Bestimmung finden,
evoziert die Künstlerin Bilder von quasi-musealen Raumerfahrungen.
Das Oszillieren der Rahmen-Objekte zwischen Artefakt, Präparat und
Fossil, die irritierende Inkorporation der Zeichnung durch das
Objekt, sowie vor allem die Qualität der Zeichnung selbst, die im
Grunde als Projektion angelegt ist, erschaffen eine überaus
vieldeutige Gesamtsituation. Den Rahmen als integralen Bestandteil
dieser Arbeit hat die Künstlerin aus mehreren Schichten Kreidegrund
auf Holz aufgebaut und anschließend in Form geschliffen. Auf diese
Weise integriert Astrid Köppe immer wieder plastische und
skulpturale Techniken in ihr Werk.
Thematisch
wurde diese Arbeitsweise in Ansätzen bereits 2005, als sie die
ersten Emaillen herzustellen begann, um ihre Geschöpfe vom
malerischen Grund der Leinwand zu lösen und Träger und Figur in
einen stärkeren Objektzusammenhang einzubinden. Eine
Weiterentwicklung dieser Idee, die Motive augenscheinlich aus der
Fläche organisch herauswachsen zu lassen, stellen die „Brettchen“
dar, die in gleicher Weise wie die Rahmen der little ghosts
gefertigt sind. Im Unterschied zu den wetterbeständigen Emaillen
treten diese reliefartigen Arbeiten in verschiedene Beziehungen zur
Umgebung. Mal sprießen feine Härchen aus der mineralisch-matten
Oberfläche und wagen sich in den Raum des Betrachters vor, mal
werden die Motive mit Silber verkleidet, das aufgrund des Gehalts von
Schwefelwasserstoff in der Luft mit dem ebenso darin enthaltenen
Sauerstoff zu schwarzem Silbersulfid reagiert. Durch dieses
kontinuierliche Anlaufen erhält das Werk eine zeitliche Komponente
und baut ein responsorisches Verhältnis zur Umwelt auf.
Dieses
Vorstoßen in den Raum war schon bei der ersten 2011 in Korea
realisierten Kompanggi-Arbeit zu beobachten. Als die starke
Feuchtigkeit, die der Monsun mit sich brachte, selbst den
Zeichenblock schimmeln ließ, musste ein anderes Medium gefunden
werden. Und so entdeckte die Künstlerin Styroporkügelchen für
sich, die, aufgespießt auf feinen Nadeln, als wuchernde Kolonien
sich die Wände erobern und damit das geradezu annektierende
Verhalten des Schimmelpilzes imitieren zu wollen scheinen.
Dankbar
kann man sein, dass dies den einzigen Verweis auf den Referenten
darstellt, denn Astrid Köppe hat durchaus ein Faible für Themen,
die unangenehm werden können. So taucht das Thema Haare im Werk der
Künstlerin immer wieder auf. Assoziationen von Anmut oder Virilität
bei vollem Kopfhaar stehen Abscheu und Grausen gegenüber, wenn sie
einzeln oder mehr drahtig als flauschig dort auftauchen, wo sie
unseren Vorstellungen nach nicht hingehören. In der Serie little
furs wird dieses Unbehagen in surrealistischer Manier
aufgegriffen. Die Fotoarbeit lebt zunächst von der Spannung zwischen
der Eigenschaft des Mediums in seiner die Realität abbildenden
Funktion und der Absurdität des Dargestellten. Doch da aus dem
Glaube an das untrügliche Bild längst ein Zweifel geworden ist, ist
es nur konsequent wenn die Verfremdungseffekte aufgelöst werden. Die
borstenartigen Fortwüchse auf den künstlichen Fingernägeln, die
die Künstlerin in Modellpose präsentiert, werden als dernier cri
in einer eigens angefertigten Vitrine ‒ den exquisiten
Schmuckstücken angemessen ‒ separat zur Schau gestellt. Ähnlich
wie die Betrachtung von Meret Oppenheims Déjeuner en fourrure
einem die Zunge pelzig werden lässt, hat auch Astrid Köppes
„Pelzstück“ durchaus das Vermögen, eine körperliche Reaktion
hervorzurufen.
Diesen
wiederholten Irritationen der visuellen und teils haptischen
Wahrnehmung wird nun durch eine extra für die Galerie angefertigte
Bodenarbeit, die einem Nebenraum zu begehen ist, eine leibliche
Perspektive gegenüberstellt. Als Knoten vielfältiger Beziehungen
zur Umwelt ist der Mensch in seiner räumlichen Wahrnehmung im Grunde
einfach gestrickt. Die Vorstellungen von oben und unten, rechts und
links, vorne und hinten sind uns so sehr eingeschrieben, dass wir
unsere biologische Disposition selten hinterfragen. Und doch gibt es
Situationen, in denen sich der feste Grund unter unseren Füssen
aufzulösen scheint und uns schlagartig bewusst wird, wie sehr unser
Dasein auf der (mehr oder minder) planen Fläche beruht. Astrid Köppe
lässt uns auf einen Boden aus auf Schaumstoff befestigten
Holzklötzchen treten, wo jeder Schritt zu einem Schritt ins
Ungewisse wird. Verlieren wir das Gleichgewicht, so verlieren wir die
Haltung und damit unsere gewohnte Perspektive auf das, was uns
umgibt. Das Haus als Wiederholung der Weltschöpfung und damit als
Raum gewordenes Stück des Menschen selbst soll uns – nach Gaston
Bachelard – als feste Burg dienen und uns lehren, die Furcht vor
dem Draußen zu überwinden, uns Festigkeit verleihen, um uns in der
Welt zu behaupten. Der Entzug des festen Bodens kommt daher der
Erschütterung des Grundvertrauens in die Welt gleich. So kann man
sich glücklich schätzen, dass die Wände als Stütze dienen. Die
Künstlerin entlässt uns mit einem Augenzwinkern aus diesem
„Schwindelunternehmen“, das so spielerisch-humorvoll wie
einprägsam die Wirkung der Zeichnungen und Objekte in eine raum- und
körperorientierte Intervention überträgt.
Wie
stehen wir nun zu unserem eigenen „Pareidolia“, zu diesem Hort
der vorgeblichen Zweifellosigkeit, der mit dem Zwang verwachsen ist,
mit Namen und Begriffen zu belegen, was anders nicht zur Ruhe kommen
will? Technisch versiert und mit üppiger Einbildungskraft führt uns
die Künstlerin die konsenslastige Arbeitsweise unserer Wahrnehmung
vor Augen, die, reaktionsfreudig auf der Suche nach Eindeutigkeit,
bereit ist, eine ostentative Mehrdeutigkeit oft widerstandslos
preiszugeben. Der Weg weg aus „Pareidolia“ könnte vielleicht zu
einem globaleren Empfinden führen, das ohne die Formel „Bohnenamöbe“
auskäme und sich weiteren Virtualitäten des Sichtbaren öffnete.
Doch wenn auch die Bändigung unserer Umwelt durch die Sprache uns
die Möglichkeit nehmen mag, die Sinneseindrücke in einer
ursprünglichen Unvoreingenommenheit zu erfahren, so ist sie
gleichzeitig auch ein Mittel, uns nicht in der Welt zu verlieren. Das
kommunikative Spiel, das vergnügliche Raten und dialogische
Abgleichen der eigenen Lesart des Gesehenen mit der unseres Nachbarn,
sowie die Lust am Sehen und das Streben nach Wissbarem vermögen uns
nicht nur der Vorstellungswelt unserer Mitmenschen ein Stückchen
näher zu bringen, sondern tragen überdies ‒ zu unserem eigenen
Erstaunen ‒ dazu bei, manch vergessene Impression aus den Tiefen
unseres ganz privaten Bildarchivs hervorzustöbern.
Dirk
Weilemann, September 2013